Umschulung für Kühe

Die Karriere der LPG-Milchkühe in Wendezeiten


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Gäste und Leute, denen ich von unseren Kühen erzähle, fragen immer wieder: „Wo werden denn eure Kühe gemolken?“ oder „Wer melkt die Kühe, wenn ihr im Urlaub seid?“ oder „Und wieviel Milch gibt die Kuh am Tag?“
Viele drücken auch gerne Mal ihre Enttäuschung über das viel zu kleine Euter aus. Das Erstaunen ist dann regelmäßig groß, wenn ich erkläre, dass niemand die Kühe melken muss, weil die Mutterkühe sind.

Was sind eigentlich Milchkühe?

Milchkuh sein, das ist eigentlich nur ein Beruf der Kuh. Keiner, den sie sich selbst aussucht oder für den sie lange in die Lehre gehen müsste, aber ein Beruf, zu dem sie vom Bauern ausgewählt wird und dem sie dann ein Leben lang ausübt. Wie sie Milchkuh wird? Ganz einfach: Nach ihrer Pubertät (und wer hier denkt, das wär jetzt Quatsch, hat noch nie pubertierende Fersen gesehen…) trägt sie ein Kalb aus. Kurz vor der Geburt beginnt sich das Euter zu entwickeln und Milch für das Kalb zu produzieren – also wie bei allen Säugetieren inkl. der Menschen auch. Nach der Geburt würde sie nun eigentlich das Kalb säugen, aber stattdessen wird ihr das Kalb weggenommen und sie wird regelmäßig jeden Tag gemolken. Dadurch ist die Milchproduktion im Euter immer angeregt. Alles was die Kuh tun muss, ist eigentlich nur viel trinken und fressen – die Milchproduktion läuft dann ganz von selbst.

Und was sind jetzt Mutterkühe?

Das Berufsleben der Mutterkuh ist dagegen körperlich anstrengender, arbeitsintensiver und nervenaufreibender. Mutterkühe bekommen jedes Jahr ein Kälbchen und ziehen dieses mit ihrer Milch groß. Hinzu kommen die ganzen Pflegemaßnahmen, die so ein kleiner Racker braucht. Ganz zu Schweigen von den Nerven, die wohl jede Mutter verliert, wenn das eigene Kalb mal wieder mit den Nachbarskälbern unterwegs ist und zur Essenszeit nicht da ist.

Unsere Kühe bekommen die Kälber direkt auf der Wiese und brauchen dabei selten Hilfe. Am ersten Tag noch recht wackelig, sind die Kälber am zweiten Tag nicht mehr zu fassen. Je älter das Kalb wird, desto weniger Milch trinkt es. Das führt dazu, dass sich das Euter der Kuh dann langsam wieder zurückbildet und die Milchproduktion nach der Entwöhnung einstellt.

Umschulungsmaßnahmen 1991: Von der Milchkuh zur Mutterkuh

Nach der Wende bekamen die Bauern, deren Land zu DDR-Zeiten von der LPG bewirtschaftet wurde, ihre Flächen zurück. Viele haben nicht mehr mit der landwirtschaftlichen Nutzung angefangen, doch einige wagten den Schritt in die Selbstständigkeit und bewirtschafteten das Land wieder selbst.

Einige – so auch mein Vater – kauften 1991 von der LPG die Milchkühe. Da die Milchpreise schlecht und Melkgeräte nicht vorhanden waren, dachte niemand daran, die Tiere weiterhin als Milchkühe zu halten. Stattdessen, wurden die Tiere von nun an als Mutterkühe „umgeschult“ – Umschulungen waren ja zu diesen Zeiten an der Tagesordnung. Die Tiere wurden also noch in der LPG besamt (ganz unromantisch & künstlich – heute kümmern sich darum wieder echte Bullen) und sollten dann nur noch ihren mütterlichen Instinkten folgen und ihre Kälbchen großziehen. Das taten auch alle sofort und ohne Probleme über viele Jahre. Weil sie im ersten Jahr noch sehr viel Milch gaben, wurde jeder Kuh sogar noch ein zusätzlich gekauftes Kalb angesetzt. Im darauffolgenden Jahr hatte sich die Milch-Produktion der Tere weitestgehend normalisiert. Dennoch, ihre riesiegen Euter sind die ehemaligen Milchkühe nie wieder ganz losgeworden.

Die LPG-Milchkühe sind lange schon geschlachtet, doch ihre Nachfahren kann man auf den Ruhlsdorfer Wiesen bewundern.

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